Traktat über die Rechte

Von Ayatollah Montaseri

Ghom-Iran, Mai 2005

Bemerkung des Übersetzers: Dieses Dokument stellt ein Novum in der islamischen
Rechtsprechung dar, Fatwas genannt. Erstmals werden hiermit unmissverständlich durch einen Groß-Ayatollah im Iran die Grundrechte des Menschen und damit die demokratische Regierungsform für legitim erklärt. Es ist abzuwarten, wie die herrschenden, totalitären
Mullahs darauf reagieren.

1- Die Grundrechte des Menschen sind nicht das Ergebnis spezifischer gesellschaftlicher
Erfordernisse bzw. der zeitlichen und räumlichen Bedingungen, und zwar deshalb nicht, weil diese Rechte , wie das Recht auf Leben, das Recht auf Lebensunterhalt und eine gesunde Existenz, das Recht auf Gedankenfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung, das Recht auf individuelle und gesellschaftliche Sicherheit, vor allem dem Wesen des Menschen entsprungene Rechte sind, weshalb sie in Essenz wesentliche, unveränderliche und unantastbare Rechte sind, und die Menschen sollen dieser Rechte wegen ihres Menschseins und ihrer Menschenwürde habhaft sein.

Solche Art Rechte wurzeln nicht in der Gesetzgebung oder im Willen der Regierungen, sondern in der Natur des Menschen; sie zählen zu den Evidenzen der praktischen Vernunft, und der Standpunkt von "SCHARIAT" ihnen gegenüber ist wegweisend.

Das (Menschen-) Recht in seiner Objektivität und Wirklichkeit steht außerhalb jedweder Festsetzung und Geltung von Gesetzen (SCHARIAT).

2- Es wird derjenige als gerecht erwähnt, welcher bei der Gesetzgebung dem Wohl und der Verderbnis (von Menschen) Rechnung trägt. Die Außerachtlassung von Wohl und Verderbnis bei der Gesetzgebung wird von Gott als Ungerechtigkeit angesehen, dessen Reich damit nicht berührt ist, weshalb die Leute der Gerechtigkeit die göttliche gesetzesordnung eine gerechte Ordnung zu nennen pflegen. Dem göttlichen Glauben Folge zu leisten, ist vom Aspekt der Glaubens- und Meinungsfreiheit gesehen, ein Recht, vom Standpunkt der praktischen Folgen aber eine "vernünftige Pflicht".


3 - Das Recht auf menschliche Würde bildet ein grundlegendes und fundamentales Recht für die von Menschen gesetzten weiteren Rechte. Der erhabene Prophet( = Mohammad) und der Fürst der Gläubigen (= Ali) hielten Brüderlichkeit in Religion und Glauben mit Menschlichkeit und Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung für gleich und räumten dem Glauben als solchem keinen Vorzug vor dem Recht ein.....
Als Beweis für die wesensmäßige Menschenwürde kann man auf eine Reihe von Überlieferungen (=RAWAYAT) verweisen.Die sich aus dem Koran und den Rawayat ergebende Menschenwürde ist ohne Einräumung von wesensgemäßen Rechten für die Wahrheit des Menschen, gleichgültig welcher Meinung und welchen Glaubens, nicht vorstellbar, weil die Würde des Menschen eine Art Bewertung und Aufwertung des Menschen aufgrund seines Menschtums ist , und dieser Sinngehalt setzt voraus, dass der Mensch gewisse angeborene, natürliche und soziale Rechte hat, wie das Recht auf Leben, das Recht auf Gedankenfreiheit, das Recht auf Redefreiheit und vieles mehr. Deshalb kann man den bloßen Besitz von einer gewissen Überzeugung, auch wenn diese wahr wäre, nicht als Anlass für Privilegierung bei Einräunung von sozialen und zivilen Rechten nehmen.

4- (Es steht geschrieben), dass der Wertvollste unter Euch für Gott der tugendhafteste ist. Aber wertmäßige religiöse Einschätzung hat keinen Einfluß auf gesellschaftliche Rechte; alle Menschen genießen, unabhängig von Grad ihrer Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit, gleiche Rechte.
Gott hat den Genuß natürlichen Segens in dieser Welt allen Menschen angeordnet, unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Religion. Er missbilligt die Ansicht,dass die Gläubigen
(Frommen) in dieser Welt beim Genuß ihrer natürlichen Rechte bevorzugt sein sollten.

5- Sollte die religiöse Überzeugung den Boden bilden, woraus die Rechte des Menschen erwachsen, so müsste die Stärke oder Schwäche dieser Überzeugungen für die Stärke oder Schwäche dieser Rechte maßgeblich sein. Aber man kann mit Gewissheit sagen, dass es nicht so ist und dass die Stärke und Schwäche des rechten Glaubens bei den Menschen nur ihre geistige Bewertung bei Gott zur Folge hat.

6- Da die Vernunft und das Denken das Wesen des Menschen bestimmen, sind die Gedankenfreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung unantastbare Rechte aller Menschen, und alle Menschen haben das Recht, frei über verschiedene konfessionelle, politische und gesellschaftliche Probleme und Sachverhalte zu denken und sich zu äußern. In gewissem Sinne kann man behaupten, dass die Rechte der Meinungs- und Redefreiheit zu den wichtigsten Rechten der Menschen gehören. Die Verletzung dieser Rechte ist das schlimmste Unrecht, welches man den Menschen antun kann.

7- Jeder Mensch hat das Recht ,seine Meinung, richtig oder aber falsch, zu äußern, aber er hat kein Recht, die Gedanken und Überzeugungen anderer, vor allem das, was für sie heilig ist, zu beschimpfen, zu verdrehen oder zu diffamieren. Aber die Konvertierung bzw. die Änderung von Gedanken und Überzeugungen kann als solche und für sich genommen nicht Strafen nach sich ziehen, es sei denn sie verstösst als strafbare Handlung gegen irgendwelche Rechtstitel. Demnach ist die Freiheit des Gedankens und der Überzeugung, die Freiheit ihrer Änderung und ihrer Äußerung, oder die Freiheit, über die Gedanken und Überzeugnungen anderer sich Informationen zu verschaffen, mit keinem strafbaren Titel wie Renegatentum, Verderbnis, Blasphemie, falscher Anschuldigung, u.ä.m. in Verbindung zu bringen.

8- Das Recht, gegen die Entrechtung (auch: Entbehrung) zu kämpfen, ist ein Recht auf Gerechtigkeit und Vervollkommnung, welches im Wesen des Menschen verankert ist. Alle Argumente zugunsten der Ablehnung von Duldung von Ungerechtigkeit und des Kampfes gegen die Tyrannen, sowie die gesamten Grundsätze im Bereich " des Abratens vom Schlechten" verweisen nachdrücklich auf dieses Recht.

9- Es besteht die Möglichkeit, dass ein durchaus tugendhafter, frommer Mensch zur Macht steigt aber unbewusst und sogar mit Wohlwollen ihrem Einfluß unterliegt und zur Diktatur im Regieren hingetrieben wird, wie Seine Hohheit Imam Ali sagt: Wer die Macht ausübt, der wird zum Hochmut neigen. Was bedeutet, dass derjenige, welcher in den Besitz der Macht gelangt, zur Selbstherrlichkeit und Tyrranei verführt wird. So liegt der beste und wirksamste Weg, dem Missbrauch am Recht und im Namen des Rechts einen Riegel in den äußeren Mechanismen vorzuschieben.

Diese sind :
Die Institutionalisierung der Kontrolle durch das Volk, Sicherung von politischen und gedanklichen Freiheiten in Gestalt von Parteien, gesetzlichen Verbänden und Vereinigungen, unabhängigen Medien und Zeitungen, sowie die Trennung von Gewalten und vermeidung von deren Konzentrierung in einer oder wenigen unabänderlichen Händen, Beschränkung der Regierungszeit der Regierenden und schließlich ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem Souverän.

10- Wenn die Menschen in ihrem Besitz und Eigentum freigestellt sind, so sind sie konsequenterweise auch freigestellt in der Bestimmung ihres eigenen Geschicks, denn Willensfreiheit bei der Selbstbestimmung gilt als Ursache....(so) ist die Ansicht keiner Person oder keiner Generation außer der des Unfehlbaren (gemeint ist der abwesende 12. Imam der Schiiten) kein rationaler oder SCHARIAT-mäßiger Beweis. Die Menschen haben das Recht, zu jeder Zeit für die Verwaltung ihrer öffentlichen Angelegenheiten in einem legitimen Rahmen mit demjenigen einen Bund einzugehen, welcher die erforderlichen Voraussetzungen aufbringt.